Das Fluchttier Pferd versus Raubtier Mensch.
Fragt man Pferdeleute danach, ob sie wissen, dass Pferde Fluchttiere sind, nicken die meisten zustimmend. Ja, das hat man schon mehrfach, gerade in den letzten Jahren, durch die “Horsemanship-Bewegung” gehört. Jedenfalls hat wohl schon jeder Reiter mindestens einmal erlebt, dass ein Pferd vor etwas für es bedrohliches Angst hatte oder gar scheute. Nur, so richtig verstehen können wir das nicht. Denn wir Menschen essen genetisch bedingt Fleisch und gehören in die Kategorie der Raubtiere, präziser Primaten. Aus diesem Grund ist unsere natürliche Angst weitaus geringer als die der Fluchttiere.
Das Leben eines Fluchttieres
Fluchttiere sind von Natur aus sehr, sehr vorsichtig, denn immer und überall könnten lebensbedrohliche Gefahren auf sie lauern. Alles könnte gefährlich sein und dabei ist die größte Angst des Pferdes nicht, dass es verletzt wird, sondern dass es in der nächsten Minute stirbt! Das ist ein riesengroßer Unterschied ! Werde ich “nur” verletzt oder sterbe ich gleich! Natürlich sind auch Verletzungen lebensgefährlich, da ein Pferd, welches nicht mehr gut wegrennen kann meistens die nächste Mahlzeit für ein hungriges Raubtier ist! Für uns Menschen sind ein im Wind wedelnder Gegenstand oder die Hecken rechts und links am Weg nicht bedrohlich, da wir sachlich denken können und wissen, dass es bei uns in Deutschland in weiten Teilen keine frei lebenden Raubtiere gibt, die hinter Hecken lauern! Das Pferd weiß das aber nicht, alles, jedes Rascheln, jede noch so kleine Bewegung könnte das Aus bedeuten! Stell dir einmal vor, du lebst in einer Gegend, in der real Raubkatzen, Bären oder Wölfe leben und du gehst mit deinem Pferd in der Dämmerung ausreiten. Ich glaube, da hättest du vielleicht auch ein mulmiges Gefühl – also mir erginge es jedenfalls so!
Von Natur aus ist ein Fluchttier immer auf “Hab-Acht!”
Da die wild lebenden Pferde seit jeher, also Millionen von Jahren, als Nahrung für viele Raubtiere dienten und auch heute noch dienen, bewirkt dies eben eine unglaublich viel höhere Fluchtbereitschaft als die von uns Menschen! Und zwar für uns oft wirklich unvorstellbar viel höher, 100-fach höher! Sonst hätte die Spezies Pferd niemals überleben können und wäre schon längst ausgestorben! Natürlich hat die menschliche Auslese bei unseren heutigen Pferden den Fluchtreflex reduziert. Tatsächlich gibt es heutzutage auch viele Pferde, die erst sehr spät in den Fluchtmodus kommen. Es gibt Exemplare, da dürfte man meinen, es könnte eine Bombe neben ihnen einschlagen und sie bleiben immer noch stehen! Doch es gibt immer noch viele Pferde, die bei dem leichtesten Anschein einer Bedrohung entweder gleich nervös werden und loslaufen oder andere Tiere, die alles in sich hinein fressen und dann oft für den Besitzer unverhofft richtiggehend explodieren und wirklich gefährlich werden!
Was trägt der Mensch dazu bei?
Ja, und weil wir Menschen eben Raubtiere sind, verhalten wir uns immer wieder unbewusst, für uns ganz selbstverständlich, auch so wie diese! Wir schauen und bewegen uns im Zusammensein mit Pferden immer wieder wie Raubtiere auf der Jagd. Wir selbst bemerken das gar nicht, doch die Pferde mit ihrem natürlichen Überlebensinstinkt sehr wohl! Negative Emotionen überkommen uns, wenn das Pferd nicht so tut, wie wir uns das vorgestellt haben. Die einen werden aggressiv und ungehalten, dabei drücken sie dies unverkennbar über ihre angespannte Körperhaltung dem Pferd gegenüber aus. Sie werden laut, wie ein brüllendes Raubtier auf der Jagd! Andere dagegen lassen sich von der Unsicherheit oder Aggressivität des Tieres und dadurch oft deren ungestümen Verhaltens beeindrucken. Sie werden selbst ängstlich, trauen sich nicht und dadurch reagieren sie nachgiebig. Sie hoffen, wenn sie das Pferd beruhigen oder in Ruhe lassen, dass es dann sicherer und freundlicher wird. Doch beide Verhaltensweisen bewirken geradezu das Gegenteil. Denn das Fluchttier Pferd empfindet jetzt einen großen Mangel an der Führungs-Kompetenz seines Menschen und es wird das unerwünschte Verhalten noch mehr verstärken! Jetzt und jedes weiter Mal wird es noch unsicherer, ungestümer oder gar aggressiv!
Das Ergebnis
Oft kommen wir da nicht mehr heraus, denn unser menschliches Empfinden sagt uns, dass unser Verhalten richtig ist. Tja, so reagieren wir eben unbewusst aufgrund unserer Jäger-Natur, die auch nach langer Zeit der Zivilisation eben immer noch in uns schlummert! Gerade dann, wenn wir nicht richtig wissen, was wir tun sollen und emotionalen Stress haben, überkommen uns unsere alten, damals hilfreichen Instinkte. Wir meinen, unser Agieren ist passend und hoffen damit Erfolg zu haben. Betrachten wir es realistisch wird das ungünstige Verhalten unseres Pferdes mit der Zeit eher schlimmer als besser. Es beginnt eine ungewollte Teufelsspirale und irgendwann gilt das Pferd als Problempferd, unreitbar oder gar generell als unhändelbar!
Das Fluchttier Pferd – wie bekommen wir großartige Partnerschaften?
Die Aufgabe als intelligente Menschen ist es, unseren natürlichen Raubtier-Reflex immer besser in den Griff zu bekommen. Nur dann kann das Fluchttier Pferd lernen, seinen Flucht-Reflex immer besser zu kontrollieren. Das Tolle daran ist, dass uns die Pferde dafür danken! Ein Leben in ständiger Unsicherheit, Angst oder gar Panik ist nicht gerade schön. Pferde sind so gutmütige Tiere und wollen es uns immer Recht machen. Verstehen sie uns, zeigen sie es durch ihre Verbundenheit, Mitarbeit und auch mit ihrer Gesundheit. Denn nur ein mental glückliches Pferd kann auch körperlich gesund sein! Was können wir nun tun, damit wir uns mehr partnerschaftlich mit unseren Pferden verhalten – das steht dann im nächsten Artikel!