Hast du dir das auch schon einmal überlegt? Wir haben mit Pferden zu tun, haben uns eines angeschafft, pflegen oder reiten es als Beteiligung oder nehmen Reitstunden in einer Reitschule oder -Verein. Wir gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass die Pferde verstehen, was wir von ihnen möchten und das gehorsam auch tun.
Was die Menschen von den Pferden wollen
Denn es ist ja ganz normal, dass Pferde in Ställen gehalten werden, egal ob Box oder Offenstall. Wir führen sie am Halfter und erwarten, dass sie brav mitkommen. Oft binden wir sie an und putzen und pflegen sie und verlangen, dass sie beim Tierarzt und Hufschmid still stehen. Dann satteln und reiten wir sie und wollen, dass die Tiere unser Gewicht tragen. Dabei sollen sie fleißig genau das tun, was wir gerade möchten und sich bei der ganzen Sache auch noch gesund bewegen. Genauso wünschen wir uns einen Partner, der sich auf uns freut, beim Longieren schön läuft, mit uns entspannte Ausritte alleine in die Umgebung macht, auf dem Turnier strahlt, ja mit uns durch “Dick-und-Dünn” geht. Einfach einen tierischen Freund, mit dem man unbesorgt seine Freizeit verbringen möchte. Hui – jedenfalls ist das ganz schön viel, was wir von einem Fluchttier erwarten.
Und – was wollen Pferde?
Pferde wollen als allererstes nur eines: sie wollen überleben! Dementsprechend verhalten sie sich, denn Pferde sind Beutetiere, auch unsere gezüchteten Hauspferde haben diese genetische Ausrichtung. Natürlich nicht mehr so intensiv wie Wildpferde, doch gibt es da große Unterschiede zwischen den einzelnen Individuen. Jeder weiß, es gibt ganz coole Pferde, aber auch extrem Schreckhafte. Doch in jedem gelassenen Pferd steckt noch immer das ursprüngliche Fluchttier. Insofern sind sie alle in jeder Sekunde auf der Hut, um nicht von einem Fleischfresser gefangen, festgehalten und gefressen zu werden. Somit hat Sicherheit die oberste Priorität bei den Huftieren.
Das nächst Wichtige
Das zweit Wichtigste ist ihnen der Komfort. Da das Jahrmillionen währende Leben in der Natur sehr anstrengend war, sind sie auf Energie sparen ausgerichtet. In der freien Wildbahn müssen Pferde täglich viele Kilometer zur Nahrungsaufnahme zurücklegen. Es liegt ihnen kein Heu vor, sie müssen um satt zu werden immer wieder zu neuen Weidegründen wandern. Wasser gibt es auch nicht überall, d.h. Pferde legen jeden Tag ein bis zwei Mal die Strecke zwischen den Graswiesen und den Wasserstellen zurück. Bisher hatten Wissenschaftler vermutet, es wären so 20 – 30 km, die Pferde innerhalb von 24 Stunden unterwegs sind, neuere Forschungen gehen sogar von deutlich mehr aus! Dazu lauern überall Raubtiere und wollen eine Mahlzeit erbeuten, demzufolge müssen Pferde immer aufmerksam sein, ihre Sinne beisammen haben und schnell flüchten oder auch kämpfen können. Da diese Dinge schon so Energie raubend sind, tun Pferde nicht mehr als nötig. Dies wirkt sich bei unseren Stallpferden so aus, dass sie sich kaum selbständig bewegen. Fressen – stehen – fressen – stehen. Bewegen tun sich viele nur am Anfang, wenn sie aus der Box geholt werden, um ihren Energiestau loszuwerden, da ja von 20 km wandern im Stall nicht die Rede sein kann. Genauso – selbst wenn sie auf einem großen Paddock stehen, selbständig bewegen tun sie sich ohne Bewegungsanreize kaum. Auch hier gibt es natürlich individuelle Unterschiede von ruhigen und mehr lebhaften Pferden. Generell kann man sagen, Pferde sind bequem und suchen den Komfort.
Was kommt dann?
Pferde sind soziale Wesen. Mitglied einer Herde zu sein gibt dem Fluchttier in der Steppe Sicherheit. Ein Pferd alleine ist ein totes Pferd, weil es ständig nur mit seinen eigenen Sinnen Gefahrensituationen erkennen muss. Somit hat es keinen Komfort, ermüdet und wird zur leichten Beute. In einer Gruppe muss allerdings eine gewisse Ordnung herrschen und deshalb ist eine Rangordnung essentiel. Nur so kennt jedes Pferd seinen Aufgabe. Der Ranghöhste führt an und weist den anderen ihren Platz zu. Dabei kommt es immer wieder zu teilweise heftigen Rangordnungskämpfen. Die jungen Pferde, hauptsächlich die Hengste, üben dies schon sehr früh spielerisch. Da unsere heutigen Pferde zu wenig Bewegung und dadurch zu viel Energie haben, oft ihnen langweilig ist, ist ihre soziale Interaktion über das Jugendalter hinaus oft das Spielen miteinander. Der dritte Punkt ist also die soziale Aktivität.
Und wie sieht es mit dem Fressen aus?
Wir denken, Fressen ist doch das Wichtigste! Doch das stimmt nicht ganz. Frisst denn ein Pferd, welches sich nicht in Sicherheit wiegt? Oder eines, wo gerade wandert oder jenes, das sich gerade in einer Rangordnungs Auseinandersetzung befindet. Ganz bestimmt nicht! Stattdessen frisst es erst, wenn es sich wohlfühlt. Ist ein Lebewesen in einer unkomfortablen Situation nimmt es erst Nahrung auf, wenn es nicht mehr anders geht. Manchmal wird ein Pferd von der Herde verstoßen, irgendwann braucht es Futter, wohingegen es viel lieber in der Gruppe wäre und erst da wieder Gras zu sich nehmen wollte. Bei einem Umzug in einen anderen Stall hungern die Pferde am Anfang oft, weil sie aufgeregt sind. Denn sie sind unsicher, haben dadurch keinen Komfort und sind sozial von den anderen Pferden noch ausgestoßen. Fazit: Die Nahrungsaufnahme folgt erst an vierter Stelle.
Was darf der Mensch erwarten?
Erst wenn diese vier Punkte erfüllt sind, ist es bereit seinem menschlichen Partner alles zu geben. Pferde sind so gutmütige Tiere, sie lassen sehr viel über sich ergehen. Kein Fluchttier der Welt schließt sich derart intensiv einem Fleisch essenden Wesen an. Probleme gibt es, wenn einer oder mehrere dieser oben beschriebenen Bedürfnisse nicht gegeben sind. Dann kann das Pferd unserer gewünschten Rolle als Verbündeter nicht gerecht werden. Dabei haben verschiedene Persönlichkeits-Typen unterschiedliche Prioritäten. Es gibt Tiere, die sind sehr unsicher, andere wiederum fehlt der Komfort. Für manche ist Fressen sehr weit oben, da sie vom Charakter sicherer und vertrauensvoller sind. Außerdem gibt es die Sozialen, für die Rangordnung ausfechten und spielen in sicherer Umgebung sehr bedeutend sind. Deshalb müssen wir unseren Pferden eine artgerechte Unterkunft, Haltung und Nahrung anbieten, das ist die Voraussetzung. Schließlich wünschen sich die Pferde von uns einen Umgang, der ihnen Sicherheit, Komfort, Motivation und Spaß bringt. Fehlt eines dieser Puzzleteile wird es in irgendeiner Form Schwierigkeiten geben. In diesem Sinne ist es unsere Aufgabe, dies alles bei den richtigen Quellen zu lernen und umzusetzen. Dann kann das Pferd all die oben beschriebenen Erwartungen zu unserer vollen Freude erfüllen.