Einer der häufigsten Gründe warum Pferdefreund*innen mit mir Kontakt aufnehmen ist: sie können oder trauen sich nicht mehr ihr Pferd zu Reiten! Denn: nie mehr Reiten ist auch keine Lösung! Susanne beispielsweise kontaktierte mich vor kurzem. Sie ist eine charismatische Frau, die seit ihrer Jugend reitet. Immer noch sehr aktiv dabei, hat die schon viele Hochs und Tiefs mit Pferden erlebt. Den Stall am Haus, fährt sie mit ihren “Jungs” zum nahe gelegenen Reitverein. Das Verladen ist für sie kein Problem. Über die vielen Jahre haben es die neuen Pferde immer von den “Alten” abgeschaut.
Das neue Pferd Bodo im Gelände reiten
Vor einiger Zeit kaufte sie sich ein junges Warmblut: Bodo, der schon gut ausgebildet war. Anfangs klappte auch alles sehr gut. Doch – so nach und nach – ja, fast unmerklich – wurde das Reiten immer problematischer. Zuerst erschrak er im Gelände vor “Kleinigkeiten”. Susanne dachte sich nichts Dramatisches dabei. Nach und nach wurden es aber immer mehr Dinge, die ihr Pferd beunruhigten. Schließlich wurde es so schlimm, dass sie sich nicht mehr traute im Gelände zu Reiten.
Dann geht’s eben in die Reithalle…
“Also: jetzt muss das in der Reithalle ‘gerichtet’ werden”, dachte sie. Bisher hat das ja bei jedem anderen ihrer Pferde auch funktioniert. Jedenfalls – mit Bodo klappte das Vorhaben nicht… Er fing an, sich eine Ecke als “Gruselecke” auszusuchen. In dieser erschrak er bei jedem Vorbeireiten. Susanne übte deshalb immer weiter an dieser Stelle vorbei zu reiten. Denn sie war überzeugt: “Wenn ich das lange genug mache, wird ihr Wallach sich daran gewöhnen!” Doch leider traf genau das Gegenteil ein: Bodo dehnte den Schreckens-Bereich immer weiter aus. Bald ging er an der einen Längsseite überhaupt nicht mehr vorbei. So verkleinerte sich der Reitbereich in der Halle Stück-für-Stück – bis – überhaupt nichts mehr ging! Der Ausweg des Longierens funktionierte auch nicht mehr… Bodo stockte, musste ständig getrieben werden – bis er dann völlig ausflippte, sich losriss und kopflos durch die Halle raste. Dann stellte er sich mit dem Kopf zur Bande – in die Nähe des Ausganges…
Was ist denn da mit Bodo los?
Die meisten Pferdefreund*innen wissen mittlerweile, dass Equiden zu den Fluchttieren gehören. Beutetiere wissen, dass sie irgendwann in ihrem Leben von Raubtieren gefressen werden. Vielleicht schon als hilfloses Fohlen oder spätestens wenn sie alt und langsamer werden. Natürlich gehen wir von ihren ursprünglichen Lebensverhältnissen als Steppentiere aus. Denn ihre Zähmung in vielen tausenden von Jahren hat ihre ursprünglichen Instinkte nur vermindert, aber nicht ausgelöscht! Die Sinne der Pferde sind höchst ausgeprägt: Geruch, Gehör und Sehsinn sind ein Vielfaches effektiver als die von uns Menschen. So sehen, hören und riechen Pferde tatsächlich viel mehr und sind beunruhigt in Situationen, wovon wir keine Ahnung haben.
Unterschiedliche Energie-Typen
Selbstverständlich gibt es bei den Pferden auch unterschiedliche Energie-Typen. Genauso wie bei uns Menschen auch! Zu welcher Sorte gehörst Du? Bist Du ein lebhafter oder eher ein ruhiger Mensch? Selbstsicher gehst Du mutig Dinge an… oder bist abwartend und lässt erst die Anderen machen? Unser Charakter ist uns angeboren… und die Umwelt in der wir leben hat ihn zusätzlich geformt. Genauso ist es bei den Pferden: ihre Persönlichkeit haben sie von ihrer Geburt an. Diese kann man nicht ändern – lediglich formen: machen wir, oft unbewusst, die falschen Dinge, wird das Pferd seine negativen Seiten offenbaren. Andererseits: machen wir das Richtige, wird es unser Pferd mit einer tollen Partnerschaft und seiner Gutmütigkeit danken.
Wie erleben Pferde unsere Welt?
Haben Pferde Angst, zeigen sie es uns zum Beispiel durch ihr Erschrecken – so wie Bodo. Wir Menschen verstehen das nicht. Da wir wissen, dass die Erschreck-Objekte nicht gefährlich sind. Wir sind ja auch keine Fluchttiere, die ständig um ihr Überleben bangen müssen. Wir leben in einer weitest gehend sicheren Umwelt, in der wir Gefahren gut berechnen und vermeiden können. Aber das wissen unsere Pferde leider nicht. Sie leben in ihrem Instinkt nach wie vor in einer gefährlichen, lebensbedrohlichen Umgebung. Anstatt, wie in der Steppe, ihrer natürlichen Heimat, leben sie bei uns in Deutschland in einer Landschaft, wo sie ständig mit irgendwelchen Gebäuden, Fahrzeugen, Menschen und Dingen konfrontiert werden.
Warum hat das Training von Susanne mit Bodo nicht funktioniert?
Susanne hat das ängstliche Verhalten mit ihrem Wallach zuerst ignoriert. Das hat allerdings nicht die erhoffte Lösung gebracht. Denn es hatte ja einen Grund, warum Bodo sich so verhielt. Dieser erschrak und wurde in diesem Zustand weiter getrieben. Irgendwann war das Schreckens-Szenario dann für das Pferd vorbei. Doch er hat nicht gelernt, dass das Ereignis gar nicht schlimm war. Sondern er dachte : “Zum Glück bin ich da vorbei gekommen und habe es überlebt! Aber nochmals möchte ich an diese Stelle nicht mehr kommen!” Beim nächsten Mal ist es so wieder genau das Gleiche: Bodo hat Angst und Susanne treibt ihn vorbei. Dabei spielt es keine Rolle, ob das im Gelände oder in der Halle ist. Jetzt kommt zum eigentlichen Angstereignis auch noch vermehrter Druck vom Reiter dazu. Anstatt, dass das Pferd sich an die “schrecklichen Dinge” gewöhnt steigt der Vertrauensverlust weiter an. Immer mehr empfindet das Pferd den Reiter auf seinem Rücken als lebensbedrohliches Raubtier. Die Reaktionen gehen von Steigen, Bocken, Durchgehen bis zum “Reiter an einem Baum abstreifen”. Hat das Pferd sein “Raubtier auf dem Rücken los” ist der Druck plötzlich verschwunden und es kann erleichtert aufatmen. Es denkt: “Mit dieser Strategie habe ich überlebt!” Ändert der Mensch seine Methode nicht, wird das Pferd seine erfolgreiche Überlebens-Strategie wiederholen. Schließlich wird es sehr gefährlich – jetzt für den Reiter – und dieser wird sich bald nicht mehr trauen sein Pferd zu Reiten… So wie es letztendlich Susanne erging.
Nie mehr Reiten ist auch keine Lösung!
Doch, was tun? Am besten ist es natürlich, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. In den meisten Reitschulen wird fast nichts über die Natur der Pferde, ihre Körpersprache und ihr instinktives Verhalten gelehrt. Deshalb kommt es regelmäßig zu gravierenden Missverständnissen zwischen Mensch und Tier. Der gute Wille des Pferdefreundes alleine reicht bei weitem nicht aus! Deshalb heißt die Devise: lerne Pferde richtig zu verstehen! Interpretiere nicht irgend etwas in ihr Verhalten hinein, sondern verstehe ihre Körpersprache – auch die Subtile. Höre zu, was dein Pferd dir zu sagen hat – denn diese “sprechen” ständig zu uns. Lerne auf seine momentanen Bedürfnisse einzugehen. So wie es ein echter menschlicher Freund auch macht! Nur so kannst du seine positiven Seiten fördern. Kein Pferd ist böse – ganz im Gegenteil – schließlich wollen sie es uns Menschen nur “recht” machen. Sie müssen uns nur verstehen können! Wie das gehen kann erfährst du bald im nächsten Artikel. Denn : “Nie mehr Reiten ist auch keine Lösung!”
Charakter und Persönlichkeit
Lerne im Seminar “Wie tickt mein Pferd” die unterschiedlichen Energie-Typen kennen… auch den deines eigenen Pferdes… das ist dann schon der erste Schritt…